31 Mag 2025, Sab

Persönliche Probleme, Schule und Arbeit: Wie sehr dürfen sie zählen?

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Wenn die Leistung nachlässt – und niemand fragt warum

Es gibt Momente, in denen sich Menschen um uns herum verändern. Nicht plötzlich, sondern schrittweise. Eine Haltung wirkt müder, die Aufmerksamkeit schweift ab, eine einst aktive Beteiligung wird spärlich oder verschwindet. In schulischen und beruflichen Kontexten mit hohen Anforderungen werden diese Signale selten mit echter Aufmerksamkeit oder Verständnis wahrgenommen. Stattdessen fällt oft ein Satz, der wie ein Schlussstrich klingt: „Ich verstehe, dass er oder sie es schwer hat – aber wir haben alle unsere Probleme.“

Wer das sagt, meint es nicht immer hart. Oft ist es ein Schutzreflex oder Ausdruck von Hilflosigkeit. Manchmal ist es auch Teil einer Leistungskultur, in der Erschöpfung als Schwäche gilt – und Schwäche als Gefahr. Doch dieser Satz beruht auf einer Annahme: dass Schwierigkeiten vergleichbar sind, dass alle sie mit gleichem Einsatz überwinden können. Als gäbe es einen gemeinsamen Maßstab für Belastbarkeit.

Doch das ist nicht so. Wir starten nicht alle auf gleichem Niveau. Nicht alle haben dieselben Ressourcen, Netzwerke oder die Fähigkeit, um Hilfe zu bitten. Was für die eine Person eine kurze Pause ist, kann für die andere eine Zerreißprobe sein. Was oft fehlt, ist die Anerkennung dieser Unterschiede.

Die leisen Zeichen der Erschöpfung

In der Ausbildung im Gesundheitswesen tauchen diese Signale früh auf – wenn wir bereit sind, sie zu sehen. Ein Schüler, der bisher pünktlich, aufmerksam, vorbereitet war, kommt plötzlich zu spät, wirkt abgelenkt, bringt unvollständige Unterlagen mit. Die Noten sinken, die Lehrer sind ratlos – und beginnen zu spekulieren: „Er ist nicht mehr derselbe.“ Doch selten fragt jemand: Warum?

Ein Schüler, der immer zuverlässig war, beginnt sich zu verändern. Irgendwann erzählt er, dass er von seiner Ex-Freundin massiv gestalkt wird – tägliche Nachrichten, Drohungen, unangekündigte Besuche vor seiner Wohnung. Er schläft kaum noch, lebt in Angst, aber kommt weiter zum Unterricht – weil der Unterricht ihm ein Restgefühl von Struktur gibt.

In meinem Team gab es eine schwangere Kollegin. Anfangs wurde sie mit einem Lächeln empfangen, später hieß es: „Jetzt müssen wir für sie mitarbeiten“, „Sie schafft nicht mal die Treppe“, „Wieder Rückenschmerzen?“ Niemand fragte mehr, wie es ihr ging. Nur noch, was sie leisten konnte. Ihre Grenzen wurden als Ausreden ausgelegt. Dabei wollte sie nur da sein, trotz allem. In manchen Systemen scheint Abwesenheit akzeptabler als unvollkommene Anwesenheit.

Ein weiterer Kollege machte mehr Fehler als sonst, war nervös, manchmal wortlos abwesend. Die Vermutung: fehlende Motivation. Erst nach Wochen kam heraus, dass sein Sohn schwer krank war. Er pendelte zwischen Klinik und Dienststelle, wollte nicht darüber sprechen, aus Angst, als schwach zu gelten. Und trug weiter alles allein – während er trotzdem beurteilt wurde.

Wenn sich die Wahrheit nicht mehr übersehen lässt

Irgendwann kommt der Punkt, an dem Ausflüchte nicht mehr greifen. Die Wahrheit – sei sie sanft oder brutal – zwingt zum Umdenken. Ein medizinischer Bericht, ein psychiatrisches Gutachten, eine familiäre Krise stellen unsere Annahmen in Frage. Was wie Faulheit wirkte, war in Wahrheit Überforderung. Was wie Distanz schien, war Schutz vor Zusammenbruch.

Dann haben wir eine Wahl: Wir können stur weitermachen und auf Einhaltung der Standards pochen – oder anerkennen, dass unsere Verantwortung größer ist. In der Schule wie im Beruf geht es nicht nur um Leistungen. Sondern auch darum, Räume zu schaffen, in denen komplexe Realitäten Platz haben.

Wenn Fürsorge im Klassenzimmer beginnt

In der Pflegeausbildung zählt nicht nur, was wir lehren – sondern wie wir mit denen umgehen, die straucheln. Empathie lässt sich nicht auf Folien erklären. Sie zeigt sich im Alltag, im Blick, im Zuhören, im Aushalten. Wer ernsthaft von künftigen Fachpersonen erwartet, dass sie empathisch handeln, muss es vorleben.

Ja, Vertrauen kann missbraucht werden. Aber Lügen fallen mit der Zeit in sich zusammen. Echte Not hingegen ist konsistent – leise, schambesetzt, aber spürbar. Wer in so einem Moment Rückhalt erfährt, vergisst das nicht. Und oft wird aus diesem Moment eine neue Stärke.

Die schwerste Lektion: Wirklich da sein

Jede Entscheidung, präsent zu sein, hinterlässt Spuren – auch wenn wir sie nicht sofort sehen. Lernende beobachten uns, Kolleginnen auch. Wie wir mit Unsicherheit umgehen, prägt unser Umfeld. Wer auch in der Krise gesehen wird, erfährt, dass Wert nicht nur an Leistung hängt.

Das entscheidet über Teamkultur – und über Vertrauen.

Keine Toleranzfrage, sondern eine Grundhaltung

Am Ende geht es nicht darum, wie viel Belastung wir ertragen. Sondern darum, welchen Raum wir gestalten wollen. Einen Ort, an dem man Schwäche verstecken muss – oder einen, an dem man sich zeigen darf, auch wenn man nicht glänzt?

Wer in der Krise angenommen wird, vergisst das nicht. Und oft ist es genau diese Person, die später anderen zur Seite steht.

Wer Pflegende ausbildet, muss Fürsorge leben. Und das beginnt bei uns.

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