Der Anfang, den man nie vergisst
Es gibt Momente im Alltag – ein Blick, eine Geste, ein Wort zu viel oder zu wenig gegenüber einem Lernenden – die mich in die Vergangenheit katapultieren. Ich sehe mich selbst, jung, unsicher, in einer Abteilung, die mich überforderte. Und ich frage mich: Was würde der Lernende von damals über den heutigen Profi denken?
Immer wieder höre ich als Ausbildner Geschichten, die schwer im Magen liegen. Lernende erzählen von distanzierten, harschen oder gar feindseligen Kolleg:innen. Und dann erkenne ich in den Namen manchmal ehemalige Schüler:innen wieder. Genau jene, die sich früher über genau diese Ungerechtigkeiten beklagten. Was ist dazwischen passiert? Was ist aus uns geworden?
Nicht vergessen, woher wir kommen
Vielleicht haben wir schlichtweg vergessen, wie es war, sich ständig beobachtet und bewertet zu fühlen. Die Unsicherheit, das Zittern, wenn man um Hilfe bat. Die Hoffnung, dass jemand einen ernst nimmt, sich Zeit nimmt, ohne genervt zu sein.
Oder – und das ist vielleicht noch wahrscheinlicher – wir erinnern uns zu gut. Jeder spitze Kommentar, jede Demütigung, jeder abschätzige Blick hat sich eingebrannt. Und nun, ohne es zu merken, wiederholen wir das Muster. Weil wir gelernt haben, dass man hart sein muss. Aber das ist kein Naturgesetz. Es ist ein Muster, das wir durchbrechen können – und sollten.
In uns lebt ein innerer Lehrling – ein „inner child“ unserer beruflichen Entwicklung. Es ist die Stimme, die noch fragen will, noch lernen will, noch staunen kann. Diese Stimme erinnert uns daran, dass Demut kein Mangel ist, sondern Stärke.
Der Lernende von heute
Die Ausbildung geschieht nicht nur in Schulen oder Ausbildungsplänen. Sie passiert im Alltag, im Nebensatz, im Schweigen. Lernende beobachten, sie spüren, sie nehmen auf. Was wir heute leben, wird ihr Rüstzeug von morgen.
Wie behandle ich diejenigen, die mir vertrauen, um zu lernen? Bin ich ein sicherer Anker oder eine Quelle von Angst? Gebe ich Halt – oder Unsicherheit? Ein einziges verletzendes Wort kann das Selbstvertrauen eines jungen Menschen erschüttern. Ein Moment echter Zuwendung dagegen kann Jahre prägen.
Nur Pflegende können Pflegende ausbilden
In unserem Beruf verschwimmt die Grenze zwischen Ausbildner:in und Kolleg:in. Wir lehren ständig – durch Haltung, durch Verhalten, durch unser Dasein. Dafür braucht es keinen offiziellen Auftrag. Jede kleine Interaktion ist Teil der Ausbildung.
Wer pflegt, bildet mit. Der Ton macht die Musik: Schaffe ich Raum für Fragen, fürs Scheitern, fürs Mitlernen? Oder vermittle ich, dass Fehler Schwäche sind? Unsere Haltung macht den Unterschied – nicht unser Titel.
Motivation – wo bist du?
Habe ich noch die gleiche Motivation wie damals? Dieses Brennen, das mich nach Feierabend bleiben ließ, das mich für jede kleine Verbesserung begeisterte? Oder bin ich der geworden, über den ich früher den Kopf geschüttelt habe: „Wenn ich mal so werde – stoppt mich.“
Wenn etwas erloschen ist, heißt das nicht, dass alles vorbei ist. Es ist ein Weckruf. Vielleicht ist es Zeit, sich zu fragen: Was hat mich einmal bewegt? Was hat mir Sinn gegeben?
Treu bleiben – sich selbst gegenüber
Reife bedeutet nicht, hart zu werden. Es heißt, mitten in der Komplexität menschlich zu bleiben. Würde mein damaliges Ich heute Respekt vor mir haben – oder wäre es enttäuscht?
Kohärenz heißt nicht Fehlerlosigkeit. Es heißt, in Würde zu handeln. Es heißt, sich selbst in die Augen sehen zu können – und zu wissen: Ich bin der Mensch geworden, den ich mir damals gewünscht hätte.
Manchmal braucht es keinen Kurs – nur Erinnerung
Nicht jede Entwicklung braucht ein neues Konzept. Manchmal reicht ein ehrliches Erinnern. Daran, was uns geprägt hat. Was uns gestärkt oder verletzt hat. Und die bewusste Entscheidung, zu denen zu gehören, die aufbauen – nicht niederreißen.
Wir alle sind immer noch Lernende. In irgendeinem Bereich, an jedem neuen Tag. Je näher wir diesem inneren Teil bleiben, desto glaubwürdiger begleiten wir jene, die neu anfangen. Bis sie selbst zu Kolleg:innen werden, auf die wir stolz sein können.